Die koreanische Künstlerin Young Hun Lee (geb. 1977 in Oberhausen) zeigt neben der prämierten Plastik „Gnade DuKis us F“ weitere Arbeiten, die sich durch eine intensive Auseinandersetzung mit den sinnlichen Eigenschaften von Materialität auszeichnen. Sie lässt plastische Figuren entstehen, die auf den ersten Blick fremd anmuten und auf den zweiten den Schaffensprozess aus einer direkten Auseinandersetzung mit dem Menschen begründen. Während die frühen „Atemarbeiten“ das Dehnen der Haut aus ihrer Erfahrung nach einer Operation thematisieren, entstehen die aktuellen Arbeiten aus der „zweiten Haut“ nämlich Textlilien, die mit Menschen in Berührung gekommen sind, wie etwa Kleidungsstücke oder Decken. Den Begriff Gnade rückt Young Hun Lee in den Kontext menschlicher Kreativität, den sie mit dem Schöpfen aus einem bereits vorhandenen Schatz bestehender menschlicher Spuren verbindet. 

 

 Dr. Isabelle von Marschall I Kuratorin des Kunstpreises der Erzdiözese Freiburg

 

JULYURTEIL I 2. PREIS

 Sinnlich verwirrend und fremd verweigern sich die Objekte der koreanischen Künstlerin Young Hun Lee scheinbar jeder Interpretation. Vielmehr lotet die Künstlerin auf eine sehr zeitgenössische Art und Weise die Grenzen der Plastik auf zahlreichen ästhetischen Ebenen wie dem Material, der Form bis hin zur Statik aus und lässt so Gebilde entstehen, die dem Betrachter den Raum für ein sinnliches Verwirrspiel eröffnen. Dies gilt insbesondere für die Arbeit „Gnade DuKis us F“. Young Hun Lee brilliert in der Verweigerung jeglicher Zeichenhaftigkeit und verdeutlicht, wie Kunst über die sinnliche Wahrnehmung einen komplexen Begriff wie „Gnade“ erfahrbar machen kann.

 Die Arbeit „Gnade DuKis us F“ ist aus Textilien entstanden, die Young Hun Lee miteinander vernäht hat, um sie dann mit einem Schaumstoff zu füllen. Anschließend wurde das textile Model entfernt, wobei Nahtspuren und Abdruck des Gewebes weiterhin sichtbar bleiben, und die Plastik mit einem glänzenden und harten Harz überzogen. Die Weichheit der kissenartigen Form steht nun im Widerspruch zur schimmernden glatten Oberfläche und erinnert an die Ironie der Menga in der sich niedliche Gestalten oft mit größter Kampfeshärte in ein und derselben Figur vereinen. Die Widersprüchlichkeit von Material und Form spiegelt sich auch in der Statik des Objektes. Scheinbar in sich ruhend ist es in der Tat extrem instabil, denn es steht nur dadurch, dass beide Hälften auf kleinster Fläche ineinander verkantet werden.

 Die Kunst der Verfremdung findet sich auch im Titel der Arbeit wieder: „Gnade DuKis us F“. Lautmalerisch ins Englische übertragen kommt man auf „do kiss us f(ather)“ und eröffnet sich hier verschiedene Möglichkeiten vom Kuss der Inspiration bis zur Gnade der Geborgenheit in der Umarmung Gottes.

 Die Theologin Veronika Schlör sieht in ihrem Katalogbeitrag die Nähe zum Begriff „Gnade“ entsprechend: „Gnade ist fremd, fast anstößig, sie ist nicht natürlich. Sie kommt nicht immer einladend daher, kann auf fremdartigen Wegen gehen. […] „Gnade DuKis us F“ ist so fremdartig, wie der Gedanke der Gnade für viele sein mag. Und es zeigt sich verletzt – wie alles, was der Gnade bedarf.“

 

 


 

Wie surreale Traumwesen aus einer anderen Dimension, aber dennoch greifbar, plastisch und präsent erscheinen die Objekte der Kunstlerin Younghun Lee. Ungewohnt und fremd zeigt sich die Gestalt der Kunstwerke. Außergewöhnlich und meist von einer gewissen Leichtigkeit durchdrungen sind auch die gewählten Materialien: Textilien, die einmal Kleidungsstucke gewesen waren und nun in einen völlig anderen Kontext gestellt werden. Luft, Draht, Polyuretanschaum oder Kunstharz werden in einem Transformationsprozess zu einer durch und durch gegenwärtigen Kunstform gewandelt. Schwer wurde man sich tun, wollte man versuchen die Arbeiten mit tradierten klassischen kunsthistorischen Gattungsbegriffen zu beschreiben. Vielmehr ist es deren Kennzeichen, sich solcher Betitelungen zu entziehen und eine völlig neue und zeitgemäße Art von Kunst zu sein. Ihre Aufgabe ist es, uns nicht nur in der Rolle des Betrachters zu belassen und zu umgarnen. Vielmehr werden wir zum Komplizen, ja sogar zum Protagonisten in diesem hochkunstlerischen Verwirrspiel.

 

Dr. Teresa Bischoff